Adlehm's Blog

24/04/2011

Exkursion ins Schweizer Bildungssystem

Ilanz

Image via Wikipedia

Im Rahmen der Exkursionen des Berufspädagogik-Modul an der PHTG besuchten wir am 25.02.2011 vormittags die Handelsschule Surselva (HSS) in Ilanz und nachmittags die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur.

Dies war ein Kontrastprogramm – allein schon, weil die HSS mit ihrer familiären Schulatmosphäre sehr idyllisch am Berghang inmitten der bezaubernden Natur des Kantons Graubünden gelegen ist, die HTW im städtischen Chur hingegen mit ihrem etwas spröden, anonymen Betongebäude technische Sachlichkeit ausstrahlte.

Einige meiner AHA-Effekte möchte ich hier zusammenfassen:

 … aus  dem Vortrag des Rektors Markus Beer der HSS:

  • Unter dem Dach einer Schule werden ganz verschiedene Abteilungen geführt: sowohl die Beruffachschule (duale Ausbildung in Schule und Betrieb) für Detailhandelsangestellte (DHF) sowie Kaufleute mit E-Profil  (Erweiterte Grundausbildung) oder M-Profil (mit Berufsmaturaausweis) als auch die Mittelschule (in Vollzeit) mit der Handelsmittelschule (HMS) und der Fachmittelschule (FMS).
  • Ein Vorteil der HMS liegt darin, dass die Absolventen neben der „kaufmännischen Berufsmatura“ auch einen Berufsabschluss (KV-Abschluss) erwerben und das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis „EFZ Kaufmann/Kauffrau“ erhalten.
  • Die FMS bietet hingegen keinen Berufsabschluss, sondern nur den Fachmittelschulausweis neben der „Fachmaturität Gesundheit“, die wiederum zum Studium an einer Höheren Fachschule berechtigt.

Nun kann ich auch einordnen, warum 2 angehende Drogistinnen, die ich mit einer Studienkollegin für einen Lernauftrag im November letzten Jahres interviewt hatte, jeweils von der FMS als nur eine Alternative zur ihrer laufenden Berufslehre sprachen. Im Anschluss daran könnten sie zwar die Höhere Fachschule besuchen, die sie für Kaderpositionen im Gesundheitsbereich qualifizieren würde. Beide zogen allerdings die Berufslehre vor, weil sie lieber praktisch im direkten Kundenkontakt arbeiten wollten, und schlossen spätere Weiterbildungen als Kosmetikerin oder Heilpraktikantin ohne eine solche Höhere Fachschulausbildung nicht aus.

  • Das Schweizer Bildungssystem ist mit den verschiedensten Schultypen und Ausbildungsgängen, überall sehr durchlässig, so dass sich ein Lernender im Laufe des Lebens noch x-mal umorientieren kann und nicht wie in Deutschland von vornherein in Kasten eingeteilt wird.

Beispielhaft dafür war auch der vom Pro-Rektor der HTW Chur im 2. Teil unserer Exkursion geschilderte eigene Lebensweg „vom Maurer zum Prof.“ über viele einzelne Bildungsstufen. Bemerkenswert!

  • Die Berufschüler seien „defizit-finanziert“ und die Mittelschule daher ein wichtiges Standbein der Schule. Ein BMS-Schüler wird mit ca. CHF 20.000 pro Jahr finanziert.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das in-house-Schwimmbad leider dem Kostendruck zum Opfer gefallen ist. Schade eigentlich! Schwimmen war auch immer eine meiner Lieblingsstunden zum Ausgleich. Nur in einem gesunden Körper, wohnt auch ein gesunder Geist.

  • Die Schulen in der Region müssen untereinander um ihre Schüler „werben“, um den Fortbestand (gerade auch in geburtenschwachen Jahrgängen) zu sichern. Public-Relation-Arbeit, d.h. die Kommunikation zwischen Schule und Öffentlichkeit wird immer wichtiger.
  • Der Anteil der Sprachenausbildung ist sehr hoch. International anerkannte Diplome können erworben werden, um „konkurrenzierbar“ (schönes Schweizer Wort 🙂 zu sein. Auch Auslandsaufenthalte (in Malta oder England) werden jährlich eingeplant.
  • Interessant finde ich den Aspekt der Pflege alten Sprachtums: Es werden 3 Lektionen Rätoromanisch („Bündnerromanisch“) pro Woche unterrichtet.

… aus der Podiumsdiskussion mit den Schülern der HSS:

  • Die Schüler mit E-Profil hatten kurze, klare Vorstellungen von ihrem Berufsabschluss.
  • Die Schüler mit M-Profil, gaben zumeist an, dass sie neben der beruflichen Grundbildung zeitgleich die Matura „mitmachen“, weil ihr Ausbildungsbetrieb (z.B. UBS) es so „verlangt“ hat.
  • Die HMS-ler waren noch nicht genau festgelegt und wollten sich Ausbildungswege offen lassen.
  • Die FMS-ler hatten sich bewusst auf ein weiteres Studium in Richtung Gesundheit / Soziales / Erziehung an einer Höheren Fachschule eingestellt.

… aus  dem Gespräch mit dem Prorektor Prof. Rolf Hug der HTW Chur: 

Die HTW Chur bietet wirtschaftliche und technische Studiengänge in folgenden Fachbereichen an: Bau und Gestaltung, Informationswissenschaft, Management, Medien, Technik sowie Tourismus.

Darüberhinaus ist sie die einzige Fachhochschule in der Deutschschweiz, die eine Technische Berufsmatura nach der Lehre anbietet.

Rolf Hug, Prof. lic. phil., hielt uns keinen Vortrag. Vielmehr kam er sehr persönlich herüber und es war erfrischend, einen Schulleiter zu erleben, der offen und menschlich seine Sichtweise auf Schule und Schüler, aber eben auch einmal aus anderer Perspektive seine Erwartungen an die Lehrerschaft uns angehenden Lehrpersonen mit auf den Weg zu geben versuchte. Im Diskurs kamen wir gemeinsam insbesondere auf folgende Eckpfeiler:

  • Authentizität der Lehrperson kommt vor Fachwissen und formaler Beurteilung
  • Termintreue
  • Teamfähigkeit im Lehrerkollegium (Konsens auf gemeinsamen Nenner, Spielregeln für ein gutes Schulklima einhalten)
  • Verständnis für den Vorgesetzten aufbringen
  • Eigendisziplin vs. Selbstzerstörung
  • die Schule als Dienstleister für die Gesellschaft, u.a. für die Wirtschaft: nicht der Schüler ist Kunde, sondern die Gesellschaft; Schule ist kein Selbstzweck und muss sich nach den gesellschaftlichen Notwendigkeiten ausrichten.

14/04/2011

Personal Learning Environment – 2. Teil = „das soziale Klassenzimmer 2.0“

„Der Ausdruck Personal Learning Environment (kurz PLE) ist nicht klar definiert, kann aber als Konzept der individuellen Ausgestaltung der eigenen Lernumgebung verstanden werden. Der wichtigste Aspekt ist, dass der Lernende diese Umgebung unter seiner Kontrolle hat und seine Lern- und Arbeitsumgebung individuell gestaltet, um Wissen zu entwickeln und mit anderen zu teilen. Obwohl die rein sprachliche Übersetzung prinzipiell die gesamte persönliche Lernumgebung meint (z. B. Schreibtisch, Bücherei, Computer, Zeitung, etc.), wird unter der technischen Umsetzung einer PLE in der Forschung im Wesentlichen die individuelle Zusammenstellung von (Social-)Software oder Web-Services, die das zumeist informelle Lernen mit dem Computer unterstützen, verstanden.“ (Wikipedia)

Während des IKT-Kurses lernten wir „by doing & clicking“ verschiedene Tools der Web 2.0 Generation kennen, die für das virtuelle Lernen ohne Anwesenheitspflicht im Schulzimmer verwendet werden können, um das selbstregulierte Lernen der Schüler von Inhalten und Kompetenzen zu fördern: Wiki, Weblog, Podcast, soziale Netzwerke, virtuelle Welt, Social Bookmarks, Social News, Media-Sharing Plattforms oder LMS. Ich stellte dabei fest, dass mir die assynchronen Tools, die eine zeitversetzte Kommunikation zwischen den kollaborierenden Teilnehmern ermöglicht, sehr gut gefallen. So kann ich mir mein eigenes Zeitfenster bauen – allerdings nur wenn ich überhaupt genügend davon habe. Lernen ist ja eine Funktion der Zeit und geht nicht so hoppla hopp. Gern hätte ich das synchrone Tool eines „Experten-Chats“ während einer der Lehrveranstaltungen ausprobiert. Aber zu dieser Art von Plausch wäre in den 4,5 Tagen dieses Kompakt-Moduls kein Platz mehr gewesen.

Im Rahmen einer asynchronen Online-Diskussion, auch Forum genannt, tauschten wir uns u.a. darüber aus, welche Anforderungen zu berücksichtigen wären, um ein kleines PLE-Konzept mit IKT-Elementen in einer Schule mit offenem Unterricht vor allem für die Zeiten ohne Anwesenheitspflicht der Schüler einzuführen und wie sich die Rolle der Lehrperson in diesem neuen Setting verändern müsste.

“PLE ist ein vorrangig technologisches Konzept, das jedoch wichtige didaktische als auch organisatorische Konsequenzen haben kann. Im Gegensatz zu traditionellen multifunktionalen virtuellen Lernumgebungen, die verschiedene Aspekte in das System integrieren …, stellt das PLE-Konzept den Lernenden und seine Aktivitäten und Bedürfnisse in den Mittelpunkt und holt die Werkzeuge und Informationen in das aktuelle favorisierte PLE des Lernenden … PLE ist also weniger ein neues didaktisches Modell oder eine konkrete Methode, die das Lehren oder das Lernen unterstützen kann, als ein technologisches Konzept: Es beschreibt Funktionalitäten, die ein entsprechendes System haben sollte, wenn es als „persönliche Lernumgebung“ eingesetzt werden soll.“ (Kalz / Schaffert: Persönliche Lernumgebungen: Grundlagen, Möglichkeiten und Herausforderungen eines neuen Konzepts , S. 6).

Demnach würde ich zu allererst nach der heterogenen Schülerschaft mit ihren methodischen und technischen Vorlieben fragen, die sie auch im privaten Bereich – und zumeist wesentlich mehr als die Lehrerschaft selbst– bereits nutzen. Weiterhin wäre interessant zu wissen, welche medialen Formate und Tools denn bereits im Unterricht der verschiedenen Lehrkräfte individuell eingesetzt werden und welche guten bzw. schlechten Erfahrungen sie damit gemacht haben? Desweiteren möchte ich wissen, welche der wissenschaftlichen Fächer bereits in dieses Konzept einbezogen werden können, ob fächerübergreifende Lernziele verfolgt und die Sprachenfächer längerfristig auch mit eingeschlossen werden können? Und weiter … welche Kompetenzen (siehe auch Kompetenzatlas Erpenbeck / Heyse, 1999) und Lerninhalte bezogen auf die betroffenen „Unterrichtsfächer“ sollen entsprechend Rahmenlehrplan für Maturitätsschulen bzw. Fachmittelschulen und entsprechend den Leitideen der Schule „vermittelt“ bzw. mithilfe der „neuen Tools antrainiert“ werden? Welche genauen Lernziele formuliert der künftige Lehrer-Moderator im speziellen Kurs, so dass entsprechend passende e-Werkzeuge gemeinsam gefunden werden können? Welchen Wissenstransfer möchte die Lehrperson in welche anderen Bereiche anregen? Wann ist Gruppenarbeit und wann individuelles Lernen der Schüler gewünscht? Wie sieht der zeitliche Rahmenplan aus und ist er grundsatzlich veränderbar: face-to-face Treffen sind wann und wie oft möglich? Wieviel Zeit wird als Minimum für das virtuelle Lernen ohne Anwesenheitspflicht im Schulzimmer veranschlagt? Welche Anforderungen müssen für die Bewertung und Evaluation der „Lernergebnisse“berücksichtigt werden (formativ / summativ)? Wie sieht das Schulkonzept für die interne Evaluation aus? Welches Kostenbudget muss in welchem Zeitraum im Auge behalten  werden? …. etc.

Erst wenn die Lernziele und die Rahmenbedingungen klar sind, kann das Setting des Lernens konzipiert und synchrone und asynchrone Tools für individuelle PLEs der Schüler angeboten werden. Das bestätigt letztlich auch die Aussage von Max Woodtli, dass der ICT-Einsatz eine „Querschnittskompetenz“ ist, die während des eLearnings auch noch „so ganz nebenbei“ als Medienkompetenz antrainiert werden kann.

Die Lehrperson (LP) wird in diesem Konzept einen Perspektivenwandel vollziehen und sich umstellen müssen. Sie wird zum Lernbegleiter und Moderator des selbstregulierten Lernens der Schüler – ganz extrem formuliert: nur dessen „was sie selbst wann wie wo lernen wollen“. Ein Umdenken ist also bei der Lehrperson selbst notwendig, d.h. Partizipation und Abgabe von Macht und Kontrolle. Möglicherweise werden keine Fächer, sondern Lernfelder unterrichtet und Lehrer müssen auch untereinander kooperieren. Und … vielleicht möchte SIE sich hier didaktisch weiterbilden (Tipp: an der PHTG! 🙂 Anderseits ist eine Schulung nötig, zum einen was die technische Seite der Tools anbelangt, als auch in eModeration. Die Lehrperson muss wissen, wie sie die Lernaufgaben strukturiert, initiiert, unterstützt, Feedback gibt, aber auch wie sie die gewünschten Lernkompetenzen mit den neuen Tools beobachten und schliesslich die individuelle Lernleistung beurteilen kann. Diese Herausforderung, jeden Schüler optimal zu fordern und fördern, ist zeit- und arbeitsintensiv und bedarf auch guter Planung und Organisation seitens des Lehrmoderators. Ansonsten kann Partizipation – wie Oser (1994) es formuliert – auch schnell zur „Zumutung“ für die Lernenden werden.

12/04/2011

Personal Learning Environment

Nicht für die Schule, sondern für das virtuelle Leben lernen wir.

Nachdem ich an der PHTG nun auch das IKT-Modul im Crash-Kurs einer schlichten Woche besuche, widme ich die nächsten beiden Einträge dem Lernen in der virtuellen Welt.

Zwar bin ich mit Fremdsprachen vertraut, aber bei all den Wortschöpfungen der Informations- und Kommunikationstechnologie, die mir gleich zu Beginn des Kurses nur so um die Ohren flogen, entpuppte sich Wikipedia mal wieder zum verlässlichsten und schnellsten Freund und Helfer, um die Fachbegriffe der neuen Medien zu entschlüsseln.

Die erste an uns im Kurs gestellte Aufgabe war: Ein PLE mit iGoogle erstellen. Na fein, google kannte ich ja immerhin schon, aber das „i“ davor irritierte mich doch sehr und PLE hatte ich auch noch nicht gehört. Desweiteren sollte das“ Google Bookmark Gadgets“ erstellt  und mit Einträgen, sogenannten Bookmarks oder Lesezeichen, gefüllt sowie andere Gadgets wie „Sticky Notes“ oder das „Wikipedia Suche Gadget“  hinzugefügt werden.  Also noch so ein Fremdwort „Gadget“, dass durchaus auch ein „Widget“ sein kann! Schliessslich sollten wir „Social Bookmarking“ und „Tagging“ über „Delicious“ und „Diigo“ durch ausprobieren erlernen.

Obwohl interaktives Lernen per Knopfdruck ja in aller Munde ist, stelle ich immer wieder fest, dass ich persönlich „Knöpfchen ohne Köpfchen“ nicht drücken will und kann. D.h. bevor ich etwas lernen soll und will, brauche ich eine Anknüpfung an mein Vorwissen und eine Einstimmung auf die ungefähre Richtung des Lernziels.

Dank Wikipedia weiss ich jetzt aber, dass  iGoogle der Nachfolger der personalisierten Startseite bei der Suchmaschine Google ist. Das generelle Konzept hinter einer solchen PLE ist, dass ich als Lernender durch die individuelle Ausgestaltung meiner persönlichen Seite mir meine eigene Lernumgebung schaffen kann.  Das ist ja prima. Hey Teacher, leave us kids alone!

Als Gadgets bzw. Widgets werden kleinere Anwendungsprogramme bezeichnet, die in ein bestimmtes Fenstersystem eingebunden sind, damit der Lerner dort anklicken „interagieren“ kann. Widget ist letztlich nur ein Kunstwort aus Window und Gadget. Über das Einbinden dieser Komponenten in die PLE und über die individuelle Zusammenstellung von web-basierter Software und Services, die mich mit anderen Teilnehmern und Lernenden virtuell verbinden, soll das informelle Lernen mit dem Computer im besonderen und  selbstbestimmtes Lernen im allgemeinen unterstützt werden. Mein persönlicher Lernort im Internet ist unter meiner Kontrolle und ich gestalte diese Lern- und Arbeitsumgebung nach meinen Bedürfnissen, um an Wissen zu gelangen und es mit anderen zu teilen. Durch Erstellen von sogenannten „Feeds“ zu den Seiten der anderen verpasse ich auch keine noch so kleine und hoffentlich nicht belanglose neue Wortmeldung.

Obwohl diese Funktionen „sozial“ genannt werden, muss ich meinen Lernpartner gar nicht mehr persönlich treffen, um mich mit ihm in Artikeln, Foren, Chats, Blogs, etc. auszutauschen. Photos können ja auch ins Netz gestellt werden. Oftmals müssen aber GRAvatare herhalten – die haben noch weniger Mimik und Gestik. Aber Gott Lob gibt es ja noch die Netiquette, damit die sozialen Umgangsformen nicht ganz abhanden kommen.

Als erster Gedanke für eine Anwendung von PLE und Social Bookmarking im Fremdsprachenunterricht Englisch kam mir als „Brieffreunde im Ausland“ in den Sinn. Die Schüler könnten den Lernauftrag erhalten, sich mit Schülern oder einer Schule in z.B. Australien, USA, Canada etc. zu vernetzen und bestimmte Recherchen zu Land, Leute, Kultur, Geschichte etc. in der Fremdsprache zu führen. Die Ergebnisse und Quellen liessen sich dann wiederum in der hiesigen Klasse vernetzen, austauschen und präsentieren.

Auch könnte die Lehrperson selbst gezielt Lesezeichen-Sammlungen über die Netzwerke Delicious oder Diigo zur Verfügung stellen, um den Lernenden die Internetsuche nach passenden Webseiten zu erleichtern oder ihnen bestimmte Tools anzubieten. Durch die Verschlagwortung (Indexierung / Tagging) sind die Bookmarks so verschiedenen Unterrichtsthemen zugeordnet. Die Lernenden können auch ihre eigenen Bibliotheken von nützlichen Lesezeichen aufbauen und diese in der virtuellen Klassengemeinschaft austauschen. Zudem könnte eine Bookmark-Sammlung von Online-Wörterbüchern (z.B.: leo.org, pons.eu oder dict.cc  oder englisch-sprachigen Nachrichtenwebseiten (BBC; CNN) den selbstbestimmten Lernprozess positiv unterstützen.

03/04/2011

„Non vitae, sed scholae discimus – Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.

… Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen …“

Hat sich seit dieser Kritik von Seneca an der Philosophenschule seiner Zeit bis heute etwas geändert? Schüler und Eltern beklagen immer wieder das Lernen für Noten unter Leistungsdruck von Lernstoff, der mit der realen Welt draussen wenig zu tun hat …

Im Rahmen des Berufspädagogik-Moduls an der PHTG hatten wir am 04. März 2011 die Möglichkeit, die SBW Neue Medien AG in Romanshorn zu besuchen (im weiteren vereinfacht abgekürzt als SBW).

Das Ausbildungskonzept stützt sich auf die bekanntere verdrehte Version des Zitats „Nicht für die Schule, sondern für‘ s Leben lernen wir“. Das Hauptziel heisst „fit for life“. Es geht dabei um „Erfolgs-, Lebens- und Handlungskompetenz, (UNESCO-) Schlüsselqualifikationen, Projektarbeit und Arbeitsmarktfähigkeit“ als Grundforderung der Ausbildung von Berufslernenden.

Hier die detaillierten Empfehlungen der Unesco zur Vermittlung von lebensorientierten Kompetenzen in der Sekundarschule: Unesco Life Skills.

Die SBW ist keine Schule, sondern eine Firma, und dennoch ein „Haus des Lernens“, denn sie integriert zugleich die Berufschule (BFS) und die Berufsmaturitätsschule (BMS) unter einem Dach.

Diese moderne, zukunftsorientierte Lehr-Firma (Lehrwerkstätte) definiert sich als Kompetenzzentrum für Berufsbildung im Bereich der neuen Medien und bildet MediamatikerInnen aus. Diese neue Berufslehre des Internetzeitalters beinhaltet ein ganzes Kompetenzportfolio, d.h. befähigt zur Arbeit als Generalist in den Bereichen Informatik, Multimedia, Gestaltung / Design sowie Kommunikation einerseits und bietet zusätzliche Ausbildung im kaufmännischen Bereich, Projektmanagement sowie Marketing und Administration. Interdisziplinarität / Flexibilität im Berufsleben ist heute ein wichtiges Asset eines Bewerbers um eine Stelle und für Firmen ein grosser HR-Vorteil, um nicht viele einzelne „Fachidioten“ anstellen zu müssen. Mediamatiker können PCs und Netzwerke betreuen, kreieren und unterhalten Websites, entwerfen Bildschirm-Präsentationen, erstellen Druckmedien, z. B. Broschüren, Kataloge, Magazine und Karten etc. Andererseits übernehmen sie auch Tätigkeiten im Marketing und der betrieblichen Verwaltung (Finanzwesen, Buchhaltung, Korrespondenz, Tabellenkalkulation etc.). Es ist ein zentraler Schnittstellen-Beruf als Vermittler zwischen neuester IT-Technik und dem Menschen auf der Anwenderseite.

Diese 4-jährige Ausbildung bei der SBW ist zweistufig: In den ersten 2 Basisjahren erlernen die Auszubildenden in-house die Grundlagen des Mediamatiker-Berufs, und zwar am Vormittag in lehrerzentriertem theoretischen Unterricht (Input-Konzept), der auch die Überbetrieblichen Kurse integriert. Am Nachmittag dann wird die Lehrtheorie in realen Kundenprojekten praktisch umgesetzt (Projekt-Lernen). Sie erlernen hier das Projektmanagement in Projektteams von 4 und mehr Lernenden, in welchen sie zu ganz realen Dienstleistern der verschiedensten Kunden aus Wirtschaft, Kultur, Lokalpolitik etc. werden, die z.B. gegen Bezahlung einen Web-Auftritt, Video-, Foto- oder Audioproduktionen, Flyer, Plakate, Broschüren, Datenbanken, Programmierungen usw. wünschen. Andererseits werden auch Wohltätigkeitsprojekte übernommen.Die Berufslernenden durchlaufen in ihren verschiedenen Projektteams alle Funktionen mindestens ein Mal: Projektleiter, Programmierer, Graphiker, … und übernehmen so frühzeitig Eigen- und Teamverantwortung. Sie lernen das konstruktive Kundengespräch und elaborieren die Kundenwünsche in einem Projektkonzept, erstellen einen Meilensteinplan zur zeitlichen und technischen Projektumsetzung, berücksichtigen dabei das vorgegebene Budget und arbeiten termingetreu (selbst Nachtschichten sind manchmal fällig) … – alles in allem wie in einem realen Wirtschaftsunternehmen.

Dementsprechend sind sie in den 2 Folgejahren dann bereits ausser Haus „lebensfähig und produktiv einsetzbar“.  Sie werden für das 3. und 4. Lehrjahr an einen der ca. 50 Verbundlehrbetriebe (sogenannte „Junior Job Companies“ ausgeliehen, wobei es eine Besonderheit ist, dass der Berufslernende keinen Lehrvertrag mit diesem Betrieb hat, sondern weiterhin von der SBW betreut wird, wofür diese Transferzahlungen vom „ausleihenden“  Betrieb erhält. Stattdessen trifft die SBW mit dem Partnerbetrieb eine „Vereinbarung über eine Betriebslehrjahrsstelle“ für den Schützling. Bereits gegen Ende des 2. Lehrjahres gibt der Berufslernde schrittweise seine Projektverantwortung an die nachkommenden aus dem 1. Lehrjahr ab und bereitet sich speziell auf seine Tätigkeit in diesem Verbundbetrieb vor. Dort erfährt er eine differenzierte Ausbildung und Spezialisierung und lernt weitere Teilbereiche des Berufes kennen, die in der „Lehrwerkstätte“ SBW so 1:1 nun wieder nicht simuliert werden können. Im 3. Lehrjahr ist der Beruflernende nur noch einen Tag an der  BMS, d.h.  4 Tage im Lehrbetrieb, und im 4. Lehrjahr schliesslich vollständig 5 Tage pro Woche an der Betriebslehrstelle tätig. Dieses Dreierkonstrukt ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. KMU’s verfügen zumeist nicht über ausreichende finanzielle und personelle Ressourchen als Ausbildungsbetrieb und können so das Risiko in die Hände der SBW Neue Medien legen, die den Auszubildenden in einem Gesamtkonzept von Theorie und Praxis aus einem Guss erfolgreich zum Ausbildungsziel führen kann. Die Verbundbetriebe profitieren von den sofort einsetzbaren auf sie zugeschnittenen Fähigkeiten des Lehrlings und werden ihn zumeist nach Abschluss der Lehre auch übernehmen. Davon profitieren natürlich auch die Lehrlinge. Sie lernen in einer geschützten, begleiteten Umgebung. Auch sollte es in einem Verbundbetrieb nicht so recht funktionieren, wird der Lernende von der SBW „zurückgenommen“ bis eine neue externe Betriebslehrstelle gefunden ist.

Die Ausbildung führt zum fomalen Abschluss als Mediamatiker mit eidg. Fähigkeitszeugnis (EFZ). Zwei Drittel aller Lernenden schaffen zusätzlich auch die integrierte technische Berufsmatura und erhalten das eidg. Berufsmaturiatäszeugnis als Leistungsnachweis. Dieser berechtigt zum weiterführenden Studium an einer Fachhochschule, z.B. im Bereich Mediengestaltung. Generell sind die Berufschancen in diesem jungen Berufsbild des Mediamatikers sehr gross, da es in der Schweiz an gut ausgebildeten Fachpersonen im ICT-Bereich mangelt.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Einige  Besonderheiten des Ausbildungskonzepts im Unterschied zur traditionellen dualen Berufsausbildung sind hier zusammengefasst:

  • Alle 3 Lernorte (BFS / BMS = Schule, Betrieb = Organisation der Arbeit und ÜKs) befinden sich hier unter einem Dach und nicht wie üblicherweise getrennt voneinander. Theorie kann gleich vor Ort in Praxis transferiert werden. Es ist ein kurzer Weg zwischen Schule und Lehrbetrieb / Lehrwerkstätt, was einerseits 1:1 operationalisierte Lernziele ermöglicht und andererseits auch Reibungskräfte vermindert und Synergien zulässt.
  • Von Anbeginn der Lehre übernehmen die Berufslernenden Projektverantwortung „on the job“: akquirieren und bedienen reale Kunden und finden individuelle unkonventionelle ICT-Lösungen für deren Wünsche. Sie lernen zeitnah, dass ihr Lernen und Handeln Konsequenzen hat und bei Erfolg belohnt wird. Andererseits stärkt dies wiederum ihr Selbstkonzept in das Gelingen dessen, was auch immer sie strukturiert und kreativ zugleich angehen. Sie wachsen mit den Herausforderungen, und werden später im Berufs- und Privatleben nicht gleich zusammenbrechen, wenn sich unerwartet ein Berg von Problemen oder Herausforderungen (je nach Sichtweise) vor ihnen auftürmt.
  • Projektarbeit ermöglicht prozessorientiertes situatives Lernen, anstelle von reinem Faktenwissen.
  • Es besteht ein „Götti-System“: Jedem Lernenden des 1. Lehrjahres ist ein Lernender des 2.Lehrjahres als Pate zur Seite gestellt, der ihn im Lernen begleitet, Hilfe und Unterstützung bietet, aber ebenso auch eine Kontrollfunktion ausübt.
  • Die Lehrpersonen sind gleichzeitig auch Ausbilder und fungieren als Coach bzw. Lernbegleiter. Sie stehen vom Schulbeginn am Morgen bis zum Arbeitsschluss am Abend (oder auch während den gelegentlichen Nachtschichten als Ansprechpartner zur Verfügung). Generell soll autonomes Lernen gefördert werden.
  • In den beiden ersten Lehrjahren erhält der Berufslernende keine Ausbildungsvergütung, sondern einen leistungsabhängigen Lohn. Dazu gehört auch, dass die Lehrlinge ihre geleisteten Projektstunden beim Finanzchef melden – einerseits damit diese auf das jeweilige Projekt verrechnet werden können, andererseits damit sie selbst auch ihren Lohn erhalten. In den folgenden 2 Betriebslehrjahren wird der Lohn mit dem externen Verbundbetrieb ausgehandelt.  Bereits in der Ausbildung erfahren die Lehrlinge den Zusammenhang zwischen Leisung / Input und Bezahlung /Output sowie monetäre Leistungsanreize der Arbeitswelt.

Trotz vieler Besonderheiten wird die BFS / BMS im Rahmen eines Leistungsauftrages durch den Kanton Thurgau finanziert, ist also für Lernende und Eltern gratis – abgesehen von einer Betriebspauschale von CHF 1500 pro Basislehrjahr, der Einschreibegebühr und den Lehrmaterialien inkl. Notebook und Programme von ca. CHF 2000. Die Ausbildung unterliegt den Richtlinien des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT). Die Kosten für die betriebliche Bildung werden durch die Transferzahlungen der Betriebslehrjahrsfimen und die selbst erwirtschafteten Erträge aus den Kundenprojekten finanziert.

Was mir besonders gefallen hat, war die Art der aktiven verantwortungsvollen Partizipation der Lernenden an ihrer Berufslehre. Konsequenterweise werden sie in-house auch als „Lernpartner“ bezeichnet. Weiterhin haben sie Mitspracherecht bei der Planung der Studienreisen, aber ebenso in der Firmenführung und übernehmen hier sogar wichtige Funktionen. 3 Lernende sind zugleich Mitglieder der Geschäftsleitung und nehmen an den wöchentlichen GL-Sitzungen teil, z. B. als Leiter Finanzen.

Wir durften dem wöchentlichen „Time-Out“ beiwohnen und konnten auch dort eindrücklich sehen, wie Partizipation tatsächlich gelebt wird. Diese einstündige Wochenreflexion mit allen Lernenden, die immer freitags abgehalten wird, ist eine Art „Mitarbeiterversammlung“, in der sich die Lernenden als Verantwortliche ihrer Projekte und als Gesamtteam der SBW Neue Medien AG gegenseitig Rede und Antwort stehen und ein Gefühl der Zugehörigkeit geben. Hier werden Informationen über neue Kollegen, Termine, neue Projekte, Erfolge und Niederlagen in laufenden Projekten sowie Kernbotschaften für das weitere Vogehen als Firma kommuniziert. Die Lernpartner traten hier sehr kompetent, verantwortungsvoll und souverän auf und entwickelten auch spontan unerschrocken professionelle Antworten auf die Fragen unserer Besuchergruppe von angehenden Lehrkräften. Sie waren in der Lage auch längeren ausschweifenden Fragestellungen gut zuzuhören und zu verstehen, um anschliessend freundlich, sachbezogen, kurz und prägnant Auskunft geben. Da kann sich manch ein Erwachsener noch etwas abschauen. Das Konzept der Persönlichkeitsbildung (Sozial- und Selbstkompetenz), neben Fach- und Methodenkompetenz geht an der SBW ganz augenscheinlich auf.

Die Bezeichnung „time out“ hat hier einen doppelten Sinn. Einerseits ist eine „Auszeit“ gemeint und andererseits wohl auch „Zeitbeschränkung oder Fehler“ im Sinne der Programmierung und Netzwerktechnik. Dementsprechend konnten wir miterleben, wie in dieser Mitarbeiterversammlung auch kleinere und grössere Katastrophen erörtert und positives Fehlermanagement angegangen wurde. Fehlermachen gehört zum Lernen dazu, entscheidend ist nur, was man daraus lernt und wie man mit den jeweiligen Konsequenzen konstruktiv umgeht. Die SBW begreift sich selbst auch als Kompetenzzentrum für Fehlermanagement.

Desweiteren können die Lernpartner ihre Lernumgebung nicht nur inhaltlich, sondern auch was die Räumlichkeiten betrifft, selbst mitgestalten – sei es die gemeinsame Küche, die einladende Sitzecke zum Ausspannen und Reflektieren des Gelernten oder auch das Mobiliar – wie Glastische mit Baumstümpfen als Unterbau. Der grosse offene Lernraum hingegen, in dem sich alle Projektarbeitstische der Lernenden und auch die Arbeitsplätze der Lernbegleiter befinden, erinnert an ein simuliertes Grossraumbüro. Früh übt sich, wer dies später auch hinnehmen muss. Manch ein Lernender wird sich wohl etwas mehr Privatssphäre wünschen und hat die Kopfhörer vielleicht nicht nur auf, weil er gerade an einer Audioproduktion bastelt.

Die Lernkultur im Bildungsunternehmen SBW wird als Fraktal (Objekt, dass aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht bzw. selbstähnliche Strukturen) und 4 elementaren Teilen / Prämissen umschrieben:

  • Autonome Lernformen
  • Gestaltete Umgebung
  • Respektvoller Umgang
  • ins Gelingen vertrauen.

Das Bildungskonzept lässt sich mit den folgenden Worten zusammenfassen: selbstverantwortliches, praxis- und projektorientiertes „learning by doing“ der Lehrlinge in einer offenen, gemeinsam gestalteten, atmosphärisch beruhigenden Umgebung, mit autonomen Lernformen wie das Lern-Atelier, mit Schülerpartizipation und wertschätzender Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Lernbegleiter / Coach. Eine positive Lernatmosphäre ermöglicht sowohl gegenseitiges Vertrauen, als auch das des Lernenden in sich selbst und das Gelingen von Lernen.

Trotz der guten Absicht, Lernende optimal auf das reale Leben da draussen vorzubereiten, ist nicht zu verkennen, dass die „Lernpartner“ sehr viel Freizeit, Herzblut und Disziplin – sprich eigenen, aber von aussen vorgelebten Leistungsdruck – in diese Ausbildung einbringen, um für Kundenwünsche Tag und Nacht abrufbereit zu sein. Trotz meiner Begeistererung für das Ausbildungskonzept gleich nach dem dortigen Besuch – eben gerade wegen der Realitätsnähe, muss ich heute dennoch rückblickend reflektieren, dass mir das Element der Entschleunigung bei der Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen bei den Prämissen des Lernhauses im  „Menschenbild – Fraktal“ vielleicht doch etwas zu kurz kommt. (Ich ziele dabei auch auf die Formulierungen im Mission Statement 2011: „Excellenz = Geschwindigkeit x Präzision“ und „Ich leiste meinen Teil, damit die Erwartungen unserer Kunden übertroffen werden“). Das könnte man in regelmässigen anonymen Schüler-Feedbacks aber sicher noch genauer eruieren, und zwar mit der Leitfrage im Hinterkopf: Sind Kinder denn kleine Erwachsene?

Lernen ist eine Funktion der Zeit und Leistungsdruck eher kontraproduktiv.

02/04/2011

Partizipation – Lerngruppe

Mitbestimmung der Lernenden und was hat das mit Lerngruppen zu tun?

In einer sich stetig neu-konstruierenden globalisierten Welt braucht es Menschen, die mit den stetigen und immer schnelleren Veränderungen Schritt halten können. Somit ist es wichtig, dass Lernende neben dem Wissen von heute (was morgen durchaus schon “ein alter Hut” sein kann), auch lernen zu lernen, d. h. Lerntechniken und -strategien für lebenslanges Lernen, um sich reaktionsschnell auf neue Lebenssituationen einstellen zu können – vergleichbar mit einer ganz bewussten evolutionären Anpassung im Zeitraffer.

Selbstorganisiertes Lernen und Erziehung zur Mündigkeit kann aber nicht durch einseitige Fremdbestimmung seitens des Lehrers erreicht werden. Vielmehr kann selbstbestimmtes Handeln der Lernenden nur in einer Gemeinschaft erlernt werden – mit Lernformen, die interaktives multimediales soziales sowie individuelles kreatives und emotionales Lernen ermöglichen. In diesem Zusammenhang ergeben die verschiedenen Arbeitsaufträge des Berufspädagogik-Seminars für angehende Lehrer auch einen Sinn, um sich selbst einmal in diese neue Rolle des aktiven Lernenden zu versetzen, u.a. durch Anwendung diverser LMS-Systeme, Bloggen, Führen von Interviews und Selbstreflexion, Lernjobs an verschiedenen praxisbezogenen Lernorten, Fallstudien–Eigenrecherche und Poster-Erstellung sowie Arbeit in Lerngruppen als solche.

In letzteren können wir hoffen, als Individuum in einem Ideen-Pool aufzublühen und insbesondere selbst den Umgang mit gleichrangigen Diskussionspartnern zu üben, genauso wie wir es als zukünftige Lehrer von unseren Schülern untereinander erwarten. Oder gibt es da doch einen Unterschied?

Partizipation muss hier vor dem Hintergrund des Lehrer–Schüler–Verhältnisses gesehen werden, was lt. Claudio Caduff grundsätzlich „asymmetrisch bzw. rollenkomplementär“ ist. Bei gleichzeitigen Rollenunterschieden und unterschiedlichen Kompetenzen zwischen Lehrenden und Lernenden sollen letztere dennoch als „Partner und Gegenüber“ wahrgenommen werden – „und nicht nur als Belehrte und Unerfahrene“ (lt. Wolfgang Beutel). Als die eigentlichen Betroffenen” des Lernens und ihrer Lernumgebung sollen sie selbst aktiv an der Planung und Gestaltung bis hin zur Bewertung und Reflexion des Lernprozesses beteiligt werden. Es ist ein Perspektivenwechsel seit den späten sechziger Jahren: Vom tradierten Objekt (im Frontalunterricht) wandeln sich Schüler nun zum Subjekt ihrer Lernhandlungen und ihrer Lernumgebung. Und dennoch: „Es handelt sich um eine Partizipation zwischen Ungleichen!“ wie Claudio Caduff sagt.

Die wesentliche Frage ist also einerseits, wieviel „Macht“ die Lehrkraft bereit ist, an die Schüler abzugeben, d. h. in deren Eigenverantwortung zu übertragen, und andererseits wie sinnvoll dies in verschiedenen Lernkontexten und entsprechend des Alters und der Reife der Schüler ist, um sie nicht zu überfordern. Verantwortung zu übernehmen muss schrittweise erlernt werden und kann durchaus eine Zu-Mutung” sein. (Oser, 1994)

In einer sich gegenseitig beeinflussenden Lerngruppe  von angehenden Lehrern unterschiedlicher Altersgruppen lässt sich ein Perspektivenwechsel durchaus üben: „hier Lerner, dort Lehrer; hier Zuhörer, dort Redner; hier Beobachter, dort Beobachteter; hier Leistungsträger, dort Leistungsempfänger; hier Helfer, dort Geförderter. Zirkuläres gleichberechtigtes und wechselseitiges Lernen ermöglicht Rückkopplungen, Feedback und Selbst- als auch Fremdreflexionen über Lernvorgänge, was Voraussetzung einer konstruktivistischen Lernkultur bildet. Dabei stehen auch im individuellen Lernen Konstruktionen stets in ihrer Bedeutung vor den Rekonstruktionen. Sie drücken das Neue, Beobachtungen über Schwierigkeiten, Anomalien, Paradoxien, nicht aufgehende Zweck-Mittel-Zuschreibungen, Unschärfen aus, um veränderte Lösungen für nicht bewältigte Probleme zu liefern oder durch Experimente auch mehr oder minder zufällig zu Lösungen zu kommen, deren problematischer Ausgangspunkt im Nachhinein rekonstruiert wird“ (Kersten Reich: Konstruktivistische Didaktik, S. 224).

Partizipation als demokratischer Entscheidungsprozess in der Schule praktiziert, kann unter Umständen sehr mühsam werden und zu Verdruss bei allen Beteiligten führen. Das Einüben in …

Diskursivität: Argumente darlegen; auf Gegenargumente ernsthaft eingehen; eigene Position hinterfragen; Kompromisse ermöglichen usw.,

Dissensfähigkeit: andere Meinungen respektieren; sich selbst als Menschen sehen, der auch Irrtümern unterliegt; demokratisch gefällte Entscheide akzeptieren, auch wenn sie den eigenen Positionen widersprechen und

Ambiguitätstoleranz: Erfahren und Erkennen, dass vieles im Leben nicht eindeutig ist.” (Claudio Caduff)

zeigt Lernenden und Lehrenden gleichermassen nicht nur die Möglichkeiten von Partizipation auf, sondern verweist sie auch klar darauf, die Mühen und die Ambivalenz der Partizipation ertragen lernen“ (Reichenbach 2007, S. 59). Als Quintessenz auch meiner diversen Lerngruppenerfahrungen kann ich diese nicht besser formulieren als Claudio Caduff:

1. “Mitsprache ist oft nicht spektakulär (lange Sitzungen, viele Detailfragen usw.).

2. Zur Mitsprache braucht man viel Wissen, das man sich mühevoll aneignen muss; und auch das Aktenstudium ist in der Regel alles andere als lustvoll.

3. Partizipation mündet auch in Verantwortung, die mitunter schwer auf einem lasten kann.

4. Immer wieder gibt es Menschen, die Diskussionen und Kommunikation als lästig empfinden und darum aus Bequemlichkeit keine Mitbestimmung wünschen.

5. Auch die demokratischste Mitbestimmungsform kann nicht verhindern, dass sich Meinungsoligarchien bilden, so dass gewisse Gruppenmitglieder mehr zu sagen haben als andere.

Trotz dieser Mühen führt kein Weg an der Partizipation in der Schule vorbei.”

Dies muss man nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Schule in unserer westlichen Gesellschaft zwar einerseits Wissen über die Demokratie als Herrschaftssystem und Gesellschaftsform vermitteln soll, sie aber andererseits auch wieder selbst als Keimzelle von Demokratie gesehen werden sollte. Demokratie als Lebensform kann man nicht aufoktroyieren, sie muss vorgelebt werden, um angenommen zu werden. Das zeigen auch die verschiedenen missionierenden” Militäreinsätze in nicht-demokratischen” Ländern, aber ebenso krass rassistische Auswüchse im eigenen Homeland, und zwar immer dann, wenn Demokratie versagt.

Das Ringen um tragfähige Konsensentscheide kann somit auch für Lehrkräfte sehr ermüdend werden.

Nonkonformität äußert sich vor allem darin, dass kreatives Handeln dann leichter fällt, wenn Lehrende keinen Anpassungsdruck in konventioneller Hinsicht ausüben, wenn sie grundlegend bemüht sind, auf die diskursive Ebene zu wechseln. Aber hier erscheint noch ein anderes Problem, das für eine systemische Beziehungsdidaktik sehr wichtig ist. In einer Lerngruppe kann es durchaus wünschenswert sein, ein konformes Verhalten auszuprägen, um kooperative Handlungskoordinationen durchzuführen. Gemeinsame Verhaltensnormen sind für jede Gruppe entscheidend, um sich in Inhalten und Beziehungen aufeinander abgestimmt zu orientieren. Zugleich aber wird auch die Spannung benötigt, aus dieser Konformität auszusteigen. Kreative Gruppenmitglieder nerven dann leicht die anderen, weil das Ungewöhnliche zunächst überrascht, fremd ist, Zeit kostet, Geduld strapaziert, und oft erst im Nachhinein erkennbar ist, dass alle etwas von der Kreativität profitieren konnten. Für die Didaktik sind diese Spannung und ein Spannungsaufbau mehr als ein Abbau (mit dem Ziel vordergründiger Harmonie) entscheidend, um Lernen auf einem hohen und produktiven Niveau zu fördern… Das Staunen ist für kreative Prozesse entscheidend.“ (Kersten Reich: Konstruktivistische Didaktik, S. 199)

Non-Konformität

Weiterhin erscheint es doch als Widerspruch, wenn Schule einerseits den Auftrag hat, Schüler zu fördern und partizipieren zu lassen und andererseits nach Leistung zu selektieren und separieren. Partizipation als Inhalt und Auftrag zieht also zwangsläufig die Frage nach sich, ob und wie Schule sich in ihrer gesamten Struktur verändern muss, damit der Begriff Partizipation im allgemeinen und Demokratie im besonderen in wirklichen Inhalten – sowohl im Schulleben als auch im Unterricht – gelebt werden kann. Im weitverzweigten Schweizer Schulsystem wiederspiegelt sich für mich bereits die Transformation alter Strukturen hin zu mehr Chancengleichheit in der Bildung und Durchlässigkeit zu den verschiedenen Schultypen, insbesondere ab Sekundarstufe II und höher. Dies möchte ich aber in einem späteren Blogeintrag genauer ausführen.

Was „Gesamtdeutschland“ anbelangt, ich selbst habe noch die sehr gute Ausbildung in einer Gesamtschule erfahren und anschliessend ohne Gebühren studieren dürfen und schliesse mich aus eigener Erfahrung der mutigen Kritik von Kersten Reich zum Thema des derzeitigen 3-gliedrigen deutschen Schulsystems an (vgl. Kersten Reich: Konstruktivistische Didaktik, S. 222 -224).

Da Wandel sich nicht von heute auf morgen vollzieht, ist es insbesondere Aufgabe der Lehrpersonen, diese Veränderungsprozesse anzustossen und zu unterstützen. Oftmals müssen sie auch erst selbst bekehrt” werden oder den Spagat zwischen alten Strukturen und dem neuen schon verinnerlichten Menschenbild überbrücken, das den Schüler ins Zentrum des Lernens setzt, sowie das Lernen als Prozess und nicht nur als Leistungserbringung definiert.

Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass echte und authentische Partizipation der Schüler im gesamten Unterrichtsprozess (von der Planung über die Durchführung bis zur Reflexion und Bewertung) sich nur etablieren lässt, wenn die Lehrperson einerseits passende didaktische Lehr-Lern-Arrangements wählt, um Schülerbeteiligung zu fördern und (heraus)zufordern.

Andererseits ist die gegenseitige Wertschätzung der Lehrenden und Lernenden als Komplementär-Partner im Lernprozess Grundvoraussetzung für das Gelingen von Partizipation. Auch das lässt sich in einer Lerngruppe von angehenden Lehrern einüben, indem wir Sachverhalte zunächst nur beobachten, danach verschiedene Hypothesen aufstellen und mit dem Beurteilen im dritten Schritt sehr vorsichtig umgehen. In „Einfach Systemisch, S. 18“ wird auch ganz pragmatisch vorgeschlagen zwischen der Beschreibung von Dingen und Beziehungen zu unterscheiden und alle „harten und weichen Wirklichkeitsbeschreibungen“ als DEINE EIGENE UTOPIE und KOPIE DER WIRKLICHKEIT zu betrachten. Was das heisst? Hier  mal zwei aktuelle Musik-Tipps dazu von

Dota, der Kleingeld-Prinzessin, und den Stadtpiraten:

1. Titel „Utopie“ und andere

:-; x.y;i.o:-):x.y;i.o:-):x.y;i.o:-):x.y;i.o:-)

2. Titel „Erschlossenes Land“

:-; x.y;i.o:-):x.y;i.o:-):x.y;i.o:-):x.y;i.o:-)

Alle Formen von Mitbestimmung bleiben nur Wunschdenken und inszenierte Pseudo-Partizipation, wenn mit den Schulstrukturen, sich nicht auch die Inhalte und die innere Überzeugung der Lehrkräfte wandeln. Es nützt nichts, ein Leitbild für die Schule nach aussen hin zu proklamieren, wenn es nach innen nicht gelebt wird. Ein Schulparlament, dass zwar mitreden darf, sich aber dennoch der alleinigen Entscheidung der Schulleitung beugen muss, wird sich schnell wieder in Luft auflösen – sobald sich die Schüler ihrer Wirkungslosigkeit bewusst werden. Dasselbe würde man im grossen wohl Politikverdrossenheit nennen.

Nur wenn die Bereitschaft auf beiden Seiten – Lehrenden und Lernenden – vorhanden ist, Partizipation überhaupt als eine notwendige Grundvoraussetzung für guten Unterricht und sinnvolles Lernen anzuerkennen, erst dann können die Kompetenzen der Schüler zu selbstreguliertem Lernen und demokratischem Handeln nutzbar gemacht und weiterentwickelt werden. Wenn Lernende (auch angehende Lehrer in einer Lerngruppe) selbst erfahren, dass ihr Engagement auch ernst genommen wird und Konsequenzen hat, dann braucht sich die Gesellschaft in Zukunft auch keine Sorgen um gelebte Demokratie von mündigen Bürgern zu machen. Bis dahin bleibt noch einiges im Kontext Schule zu tun.

Bloggen auf WordPress.com.