Adlehm's Blog

24/04/2011

Exkursion ins Schweizer Bildungssystem

Ilanz

Image via Wikipedia

Im Rahmen der Exkursionen des Berufspädagogik-Modul an der PHTG besuchten wir am 25.02.2011 vormittags die Handelsschule Surselva (HSS) in Ilanz und nachmittags die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur.

Dies war ein Kontrastprogramm – allein schon, weil die HSS mit ihrer familiären Schulatmosphäre sehr idyllisch am Berghang inmitten der bezaubernden Natur des Kantons Graubünden gelegen ist, die HTW im städtischen Chur hingegen mit ihrem etwas spröden, anonymen Betongebäude technische Sachlichkeit ausstrahlte.

Einige meiner AHA-Effekte möchte ich hier zusammenfassen:

 … aus  dem Vortrag des Rektors Markus Beer der HSS:

  • Unter dem Dach einer Schule werden ganz verschiedene Abteilungen geführt: sowohl die Beruffachschule (duale Ausbildung in Schule und Betrieb) für Detailhandelsangestellte (DHF) sowie Kaufleute mit E-Profil  (Erweiterte Grundausbildung) oder M-Profil (mit Berufsmaturaausweis) als auch die Mittelschule (in Vollzeit) mit der Handelsmittelschule (HMS) und der Fachmittelschule (FMS).
  • Ein Vorteil der HMS liegt darin, dass die Absolventen neben der „kaufmännischen Berufsmatura“ auch einen Berufsabschluss (KV-Abschluss) erwerben und das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis „EFZ Kaufmann/Kauffrau“ erhalten.
  • Die FMS bietet hingegen keinen Berufsabschluss, sondern nur den Fachmittelschulausweis neben der „Fachmaturität Gesundheit“, die wiederum zum Studium an einer Höheren Fachschule berechtigt.

Nun kann ich auch einordnen, warum 2 angehende Drogistinnen, die ich mit einer Studienkollegin für einen Lernauftrag im November letzten Jahres interviewt hatte, jeweils von der FMS als nur eine Alternative zur ihrer laufenden Berufslehre sprachen. Im Anschluss daran könnten sie zwar die Höhere Fachschule besuchen, die sie für Kaderpositionen im Gesundheitsbereich qualifizieren würde. Beide zogen allerdings die Berufslehre vor, weil sie lieber praktisch im direkten Kundenkontakt arbeiten wollten, und schlossen spätere Weiterbildungen als Kosmetikerin oder Heilpraktikantin ohne eine solche Höhere Fachschulausbildung nicht aus.

  • Das Schweizer Bildungssystem ist mit den verschiedensten Schultypen und Ausbildungsgängen, überall sehr durchlässig, so dass sich ein Lernender im Laufe des Lebens noch x-mal umorientieren kann und nicht wie in Deutschland von vornherein in Kasten eingeteilt wird.

Beispielhaft dafür war auch der vom Pro-Rektor der HTW Chur im 2. Teil unserer Exkursion geschilderte eigene Lebensweg „vom Maurer zum Prof.“ über viele einzelne Bildungsstufen. Bemerkenswert!

  • Die Berufschüler seien „defizit-finanziert“ und die Mittelschule daher ein wichtiges Standbein der Schule. Ein BMS-Schüler wird mit ca. CHF 20.000 pro Jahr finanziert.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das in-house-Schwimmbad leider dem Kostendruck zum Opfer gefallen ist. Schade eigentlich! Schwimmen war auch immer eine meiner Lieblingsstunden zum Ausgleich. Nur in einem gesunden Körper, wohnt auch ein gesunder Geist.

  • Die Schulen in der Region müssen untereinander um ihre Schüler „werben“, um den Fortbestand (gerade auch in geburtenschwachen Jahrgängen) zu sichern. Public-Relation-Arbeit, d.h. die Kommunikation zwischen Schule und Öffentlichkeit wird immer wichtiger.
  • Der Anteil der Sprachenausbildung ist sehr hoch. International anerkannte Diplome können erworben werden, um „konkurrenzierbar“ (schönes Schweizer Wort 🙂 zu sein. Auch Auslandsaufenthalte (in Malta oder England) werden jährlich eingeplant.
  • Interessant finde ich den Aspekt der Pflege alten Sprachtums: Es werden 3 Lektionen Rätoromanisch („Bündnerromanisch“) pro Woche unterrichtet.

… aus der Podiumsdiskussion mit den Schülern der HSS:

  • Die Schüler mit E-Profil hatten kurze, klare Vorstellungen von ihrem Berufsabschluss.
  • Die Schüler mit M-Profil, gaben zumeist an, dass sie neben der beruflichen Grundbildung zeitgleich die Matura „mitmachen“, weil ihr Ausbildungsbetrieb (z.B. UBS) es so „verlangt“ hat.
  • Die HMS-ler waren noch nicht genau festgelegt und wollten sich Ausbildungswege offen lassen.
  • Die FMS-ler hatten sich bewusst auf ein weiteres Studium in Richtung Gesundheit / Soziales / Erziehung an einer Höheren Fachschule eingestellt.

… aus  dem Gespräch mit dem Prorektor Prof. Rolf Hug der HTW Chur: 

Die HTW Chur bietet wirtschaftliche und technische Studiengänge in folgenden Fachbereichen an: Bau und Gestaltung, Informationswissenschaft, Management, Medien, Technik sowie Tourismus.

Darüberhinaus ist sie die einzige Fachhochschule in der Deutschschweiz, die eine Technische Berufsmatura nach der Lehre anbietet.

Rolf Hug, Prof. lic. phil., hielt uns keinen Vortrag. Vielmehr kam er sehr persönlich herüber und es war erfrischend, einen Schulleiter zu erleben, der offen und menschlich seine Sichtweise auf Schule und Schüler, aber eben auch einmal aus anderer Perspektive seine Erwartungen an die Lehrerschaft uns angehenden Lehrpersonen mit auf den Weg zu geben versuchte. Im Diskurs kamen wir gemeinsam insbesondere auf folgende Eckpfeiler:

  • Authentizität der Lehrperson kommt vor Fachwissen und formaler Beurteilung
  • Termintreue
  • Teamfähigkeit im Lehrerkollegium (Konsens auf gemeinsamen Nenner, Spielregeln für ein gutes Schulklima einhalten)
  • Verständnis für den Vorgesetzten aufbringen
  • Eigendisziplin vs. Selbstzerstörung
  • die Schule als Dienstleister für die Gesellschaft, u.a. für die Wirtschaft: nicht der Schüler ist Kunde, sondern die Gesellschaft; Schule ist kein Selbstzweck und muss sich nach den gesellschaftlichen Notwendigkeiten ausrichten.

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